Im August zu singen
Brütend lastet schwer die Hitze,
Glüht auf Auen, Feldern, Wäldern,
Sickert ins Gemüt der Menschen,
Macht sie träge, immobil,
Lässt sie schmachten, lässt sie dürsten
nach den klaren frischen Quellen,
Wie im Paradies sie sprudeln,
Wo die Wiesen saftig grün,
Wo das Leben, frisch und munter,
Zuversichtlich, voll Vertrauen,
Unter Lilien und Rosen,
Rein sich an sich selbst erfreut,
Wo die Menschen, weil sie wissen,
Dass sie Teil nur sind des Ganzen,
Sich mit Allem einig fühlen
Und voll Lust umarmen sich.
Gibt es diesen Zaubergarten,
Gibt es diese grünen Räume,
Wo das Leben jauchzt vor Wollust,
Wo das Glück die Fahne schwingt?
Gibt es dieses Eden wirklich,
Wer kann dann den Weg uns zeigen,
Der hinaus aus dumpfem Brodeln
Führt uns ins Elysium,
In die himmlische Gefilde,
Wo das Lämmlein küsst den Löwen,
Wo die Greisin stillt den Säugling,
Wo vergessen Raum und Zeit;
Sondern wo allein Verwandlung,
Ewig wirksam, ewig gnädig,
Ewig liebend und verzeihend
Schwingt den goldnen Herrscherstab;
Wo zugleich man alt und jung ist,
Wo man sterbend wird geboren
In das neue alte Leben,
Wo man sich des Lebens freut,
Weil es lässt auf Leiden Freuden
Folgen und uns dabei klar macht,
Dass das Leid, von uns verursacht,
Von uns auch zu heilen ist.
Wer kann uns die Wege zeigen,
Die aus Dampf und Dunst und Ödnis
In Gefilde, klar und lauter,
Führen, wo die Schönheit blüht?
Können das die Theologen?
Können das die Philosophen?
Können das die Wissenschaftler,
Die so oft sich eitel bläh'n?
Aber alle diese Fragen,
Die sich hier so wichtig machen,
Sind im Grunde überflüssig,
Denn die Antwort kennen wir!
Eden müssen wir nicht suchen,
Eden existiert ja wirklich,
Eden ist real und greifbar,
Denn es findet sich in uns!
Wir sind Eden, sind Bestandteil
Dieses großen bunten Ganzen,
Das uns trägt und mit uns atmet,
Uns in seinem Geist umschließt!
Warum nähren wir Chimären,
Traun der Truggespinste Sirren
und verstopfen uns die Ohren
Vor der Himmelssymphonie?
Warum scheuen wir das Schöne,
Haben Angst vor seine Stärke?
Warum schließen wir die Augen
Vorm Erscheinen großer Kunst?
Ja, allein die Kunst vermag es,
Unverfälscht und klar und deutlich
Die Verwirrung zu durchdringen,
Die das Chaos dauernd schafft.
Dieses Chaos kann uns schrecken,
Wenn man falsche Ruhe vorzieht,
Wenn man,statt dem echten Golde
Talmiglanz den Vorzug gibt.
Doch der übergroße Reichtum,
Fruchtbar, lebensspendend, üppig,
Den das Chaos in sich heget,
Ist der Rohstoff aller Kunst,
Aller Kunst und allen Lebens!
Alles findet sich im Chaos,
Was sich dann, in Kunst und Leben,
Wunderbar entfalten wird!
Wieder hat mir Herr von Linprun
Mit den magisch schönen Bildern
zur Chaotik diesen Reichtum
Sinnlich vor das Aug' gerückt!
Lichtgestalten, Luftgestalten,
Quallen, Tänzerinnen, Sylphen
Und Sylphiden schweben heiter
Durch des Weltalls schwarze Nacht,
Bilden kühne Formationen,
Trennen sich, vereinen sich,
Voller Grazie, voller Anmut,
Voller Spieltrieb, voller Lust;
Singen Mozartsche Terzette,
Nehmen Wotan auf den Arm dann,
Samt den Wagnerschen Walküren,
Geistern spöttisch durch Walhall;
Mimen Lohengrin und Elsa,
Ortrut, Fricka, Loge, Fafner,
Blecken ihnen keck die Zunge,
solfeggieren himmelwärts;
Sinken schwer dann in die Fluten,
Ringeln sonnige Spiralen,
Knüpfen einen Solarplexus,
Tanzen einen Pas de deux.
Was man sehen will, erkennt man,
Was man denkt, nimmt gleich Gestalt an,
Unerschöpflich, unausschöpfbar
ist der Bilderflut Substanz!
Leicht wird dem Betrachter plötzlich
Zentnerschwere Sommerhitze,
Und mit wonnigem Erschauern
Fühlt er Edens Frühlingsluft!
Riecht die Töne, riecht die Farben,
Sieht die Düfte, schmeckt die Lüfte,
Wird für Augenblicke selber
Engel, Tänzer, „Dichter“, Geist.
Welche Wunder schafft die Kunst doch,
Die uns immer lässt erfahren
Und erfühlen, wie im Ganzen
Harmonie und Anmut wohnt.
Dank drum, lieber Herr von Linprun,
Für das Neue zur Chaotik,
Das doch letztlich ist das schöne
alte, traute Weltenlied!
Georg Apfel im August 20018
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